Wie kommt jemand auf die Idee, 100 km zu laufen? Ganz einfach: Heiko hat angefangen, mit dem Laufen. Nach einem verlängerten Wochenende zum 30. Geburtstag in Berlin, bei dem wir eigentlich nur Streß miteinander hatten, fing er an: ich will wieder laufen, ich bin so unausgeglichen. Und dann bin ich halt mitgelaufen, “ich hasse laufen, das ist todlangweilig, total öde, einfach so durch die Gegend zu laufen”, aber ein neues Paar Laufschuhe kaufen und schon kann es losgehen.

Die ersten Wochenenden mit jeweils einer halben Stunde Jogging waren richtig aufregend, nach 6 Wochen kam dann der erste Hexenschuß mit anschließendem Walking, 3 Monate später der zweite Hexenschuß mit diesmal kürzer andauerndem Walking und bald wieder Jogging. Richtig stolz waren wir, haben verlängert auf 5,x km, dann eine 7 km Runde, dann tatsächlich mal 2 Runden und nach einem Jahr das erste Mal 3 Runden, schon fast 15 km an einem Stück.

Mit dem Umzug nach Darmstadt war es dann vorbei mit den flachen Strecken im Schönbusch. Da ging es so richtig bergauf und bergab, und das auf 5 km. Da mich der Umzug an sich schon so unglaublich mitgenommen hatte, war es auch ein langer Weg bis zum ersten Beginn des Joggens, aber kontinuierlich steigerten wir unser Laufpensum. Mit zweimal pro Woche kommt man ja auf keinen grünen Zweig, deshalb haben wir im Frühjahr 2002 angefangen mit einem dritten Lauf während der Woche. Hätte mir mal jemand gesagt, dass ich freiwillig um 6:10 Uhr aufstehen würde um vor der Arbeit joggen zu gehen, hätte ich den für verrückt erklärt. Und doch haben wir das durchgezogen.

Im Juli kam dann der entscheidende Motivationsschub: Heiko erzählt mir aus dem Buch “Marathon Training” von Manfred Steffny, dass es einfacher ist, für einen 100 km Lauf zu trainieren als für einen Marathon. Das fand ich wirklich spannend, vor allem, dass man bei diesem Lauf ca. 2 kg Fett verliert. Das habe ich natürlich nachgelesen und diese Idee, 2 kg Fett in einem Lauf abzutrainieren, faszinierte mich ungemein. Bei längerem Nachdenken kam ich auch darauf, dass man bei dem Training für diesen Lauf doch noch mal ziemlich viel abnehmen müsste. Und dann fing die Suche an, wie trainiert man für einen 100 km Lauf? Im Internet kam man auf unglaublich viele Artikel über Trainingspläne, Strategien etc. - für Marathon. Ich wollte aber doch 100 km und nicht so läppische 42,195!

Am letzten Tag vor dem Urlaub kam dann der erste Testlauf über 22 km. Frei nach dem Motto “Verdoppeln kannst du immer” war mein großes Verlangen auf 30 km fixiert, Heiko hat sich aber nicht über die 22 km hinaushandeln lassen. Und so kam es zu dem ersten Halbmarathon, eventuell etwas unglücklich, das direkt vor der Fahrt in den Urlaub zu tun, aber wir haben es ja mehr oder weniger gut überstanden. Und nach den drei Wochen mit Wanderungen in den Schweizer Bergen, einem Aufstieg auf einen 3000er, testeten wir unsere Fitness von neuem, ohne einen Meter zwischenzeitlich gejoggt zu sein. Da benötigten wir für den Halbmarathon auch ein paar Minuten mehr, aber es funktionierte immerhin noch.

Zurück bei der Arbeit konnte man natürlich wieder ab und zu mal die Suchmaschinen befragen nach einem Trainingsplan für einen Hunderter. Und welch Freude, tatsächlich erschienen im Laufreport Trainingspläne für Biel - meinen auserkorenen ersten 100 km Lauf – für eine Zeit von 9, 11 und 13 Stunden. Ein bißchen vermessen war es ja schon, bei den Vorgaben “Marathon in 4 bis 4:30 Stunden, 50 – 70 km pro Woche” sich einfach einzuklinken. Die “Winterpause” in den Plänen für November und Dezember war für uns doch noch eher eine Steigerung des bisherigen Trainingspensums, das bis Oktober bei etwa 35 km pro Woche angestiegen war. Aber wir haben das Ziel erreicht, bis Mitte Dezember hatten wir eine Wochenleistung von 40 – 45 km durchschnittlich aufgebaut.

Bei einem 1000m Testlauf im Oktober haben wir hochgerechnet, dass Heiko in der Lage wäre, Marathon in knapp 4 Stunden zu laufen, ich kam immerhin noch auf eine theoretische Zeit von 4:12 Stunden. Daraus schlossen wir, dass wir das Training für den 13 Stunden-Lauf angehen können, und trainierten frohgemut nach unseren eigenen Vorgaben mit leichten Steigerungen bis kurz vor Weihnachten.

An unserem ersten Urlaubstag der Weihnachtsfeiertage kauften wir uns neue Schuhe: diesmal so richtig beim Fachhändler mit Laufband-Analyse und Lauftest vor dem Laden, bekannt ist der Joachim Fieber auch noch, da kann ja nichts schiefgehen. Außer dass unsere Füße offenbar krottenschief stehen. Joachim Fieber hat uns auch gleich geraten, Einlagen anfertigen zu lassen, damit der Fuß einen besseren Halt im Schuh hat. Man läßt sich ja gerne fachkundig beraten, deshalb war auch der direkte Weg aus dem Laden raus und zu dem empfohlenen Schuhtechniker, der unsere Füße vermessen und die Abdrücke für die Einlagen genommen hat.

So ein Paar neue Schuhe will natürlich eingelaufen werden, man ist da ziemlich stolz auf die Teile und probiert sie gleich am nächsten Tag aus, auch wenn die Einleg-Sohlen noch nicht fertig sind. An der Stelle, an der ich mir die größte Blase meines bisherigen Lebens gelaufen habe, habe ich seither dicke Hornhaut. Die Blase war nicht nur gigantisch groß, sie hat auch so richtig lange angehalten, bis sie endlich verheilte. Dabei bin ich mit den neuen Schuhen noch unglaublich gut weggekommen, Heikos Füße waren derartig massakriert, dass er sage und schreibe 8 Wochen “gehbehindert” blieb. Nach jedem einzelnen Lauf war eine neue Blase am Fuß oder die Bänder haben weh getan oder das Knie war nicht in Ordnung. Wobei die Blasen den größten Anteil hatten in dieser Zeit, die Probleme mit den Bändern und Sehnen kamen erst im Anschluß, wahrscheinlich auf Grund des immer umfangreicher werdenden Trainings mit den alten Schuhen.

Meine Schwierigkeiten mit ähnlichen Problemzonen wie Blasen an den Füßen hielten sich sehr stark in Grenzen, ich konnte das Training nach dem Plan aus dem Laufreport durchführen ohne Komplikationen und ohne Einschränkung des Pensums. Im März fing es dann allerdings an: dreimal 15 km und eine lange Einheit am Sonntag. Um nachts um 6:30 Uhr die 10km Runde (bzw. zwei 5 km-Runden) zu laufen gehört ja schon viel Disziplin, aber 15 km oder noch eine weitere 5 km-Runde, das habe ich mir dann doch gespart. Und damit habe ich Abschied genommen von den 13 h in Biel, die Hoffnung auf wenigstens 14 Stunden aber nicht aufgegeben.

Ende März gönnten wir uns ein Laufseminar mit Herbert Steffny und Charly Doll. Da haben wir unsere Leistungsfähigkeit dann auch kontrollieren lassen, es wurde ein Laktattest durchgeführt, der erstaunliche Ergebnisse zu Tage brachte: eigentlich laufen wir zu langsam. Besonders Heiko dürfte nach Puls schneller laufen, bei mir fehlten die noch langsameren Regenerationsläufe. Dies so konsequent durchzuziehen ist äußerst schwierig, wenn man nicht alleine trainieren will.

Die ersten 27 km Läufe bestritt ich zwar schon alleine, das war aber nicht das angepeilte Ziel. Nun gut, Heiko kam beim vierten langen Lauf dann auch mit auf die Piste und das gemeinsame Training setzten wir eine ganze Weile fort.

Wir hatten uns für den Marathon in Düsseldorf am 4. Mai angemeldet, dafür musste ja auch trainiert werden. Dafür haben wir uns Zeittabellen ausgedruckt, nach denen wir in 4:30 Stunden, 4:45 und 4:50 Stunden gleichmäßig durchstarten wollten. Um 11 Uhr vormittags bei 23 Grad, Tendenz steigend, zu starten, war schon eine kleine Vorbereitung auf die folgenden Hitzeläufe, sowohl im Training als auch in Biel. Sauna ist nix dagegen! Aufgrund der Hitze haben wir gleich die schnelle Durchgangs­zeit von 4:30 Stunden sausen lassen, und sind mit 4:48 Stunden noch weit unter der obersten tolerierbaren Grenze von 5 Stunden angekommen. Der Muskelkater danach war beträchtlich aber man will ja auch was zu erzählen haben.

Der Marathon war für Heiko der angestrebte große Lauf, es war zu diesem Zeitpunkt schon klar, die 100 km kann er auf keinen Fall komplett laufen, die Trainingsdecke war einfach zu dünn. Wenn die Beine bzw. Füße nicht mitmachen, sollte man das auch nicht einfach übergehen und blindlings weitertrainieren, die Gesundheit steht an oberster Stelle, die Vernunft muss die Oberhand behalten, auch wenn es noch so schwer fällt. Dass es dann auch mit der geplanten ersten Teilstrecke nicht so ganz geklappt hat ist schon ziemlich bitter für Heiko, egoistischerweise muss ich sagen, dass das für mich äußerst günstig war. Auf diese Weise hat Heiko mich genial betreut, Fotos geschossen und mich nach Biel und wieder zurück nach Hinterzarten chauffiert, mich aufgebaut, als ich kurz vor dem Heulen war und gar nix mehr wollte. Vielen, vielen, vielen herzlichen Dank, ohne dich hätte ich das nicht machen können! Und das bei Dunkelheit, ohne Ortskenntnis, mit ungenauer Streckenbeschreibung und immer mit dem Zeitplan vor Augen, um mich nicht zu verpassen durch die Schweizer Gassen düsen, die Fläschchen auffüllen und den schweren Rucksack rumschleppen! Da hätte ich auf alle Fälle versagt. Nicht zu vergessen natürlich das Auffangbecken nach dem Zieleinlauf, als ich außer Heulen nichts mehr zustande gebracht hätte (wahrscheinlich hätte ich noch in die Hose gemacht, bei dem von mir ausgehenden Geruch wäre das aber nicht weiter aufgefallen). Aber schließlich wäre ich ja alleine nie auf die bescheuerte Idee gekommen, 100 km an einem Stück zu laufen:-)